2019/07/26

Morning has broken

Quasi als Freiberufler kann ich mir problemlos immer wieder Selbstversuche leisten, die vielleicht mit einer Vollzeitstelle nicht so einfach möglich wären. Eines dieser scheinbar wiederkehrenden Versuche ist die Umstellung meines Biorhythmus. Ich habe bereits vor fünf Jahren damit experimentiert, früher, gegen halb elf schlafen zu gehen und um sechs aufzustehen. Dieser Versuch ist innerhalb von vier-fünf Monaten kläglich gescheitert, wie ich es euch auch nicht vorenthalten habe.
Ob es am Alter liegt (ich gehe schließlich mit großen Schritten auf die Vierzig zu), oder an der größeren Willenskraft, ich weiß es nicht, aber seit mehr als einem Jahr stehe ich nun schon wieder um fünf Minuten vor sechs Uhr auf  und das ohne größere Probleme. Wobei ich den Satz eigentlich in die Vergangenheit setzen müsste, denn seit einigen Wochen befinde ich mich voll in einem weiteren Experiment.
Ich habe in dieser Zeit nämlich an mir bemerkt, dass ich in der Früh viel produktiver bin, und dass einerseits acht Stunden Schlaf und insbesondere die Zeit zwischen abends zehn Uhr und Mitternacht sehr viel zu meinem Ausgeruhtsein und meiner Entspanntheit beitragen.
So habe ich nun vor einigen Wochen das Experiment gewagt, fünf Minuten vor fünf Uhr aufzustehen  und dafür natürlich extrem früh, um neun Uhr herum schlafen zu gehen. So wie alte Leute eben, und nur unwesentlich später als unsere drei Sprösslinge. Weiterhin etwa acht Stunden Schlaf also, und noch mehr Zeit, um mich in den wichtigen Stunden vor Mitternacht auszuruhen.

Ich muss natürlich zugeben, dass der Sommer hierfür eine ideale Möglichkeit bietet, schließlich stehe ich um den Sonnenaufgang herum auf, was einem leichter fällt. Ich bin mir darüber im Klaren, dass schon bald, im Herbst und speziell im Winter schwierigere Monate auf mich zukommen werden, wobei ich aber mit dem Aufstehen um sechs Uhr einen Winter lang bereits Erfahrungen sammeln konnte. Der Unterschied wird hoffentlich nicht allzu groß ausfallen.
Aber Sommer hin oder her: Ich muss sagen, dass ich in diesen drei-vier Wochen überwältigende Erfahrungen gesammelt habe. Auch wenn ich keinen direkten Blick auf den Sonnenaufgang habe, verbringe ich je nach Lust und Laune zehn-fünfzehn Minuten auf unserem kleinen Balkon, trinke den am Vorabend zubereiteten Tee aus der Thermosflasche, höre den Vögeln beim Zwitschern zu, genieße die Ruhe im Haus und draußen und sammle meine Gedanken für den Tag. Anschließend beginne ich zu arbeiten, werde weder von Telefonanrufen noch von lästigen E-Mails gestört und schaffe bis morgens sieben-halb acht, wenn die anderen aufwachen, schon eine ganze Menge. Der ganze Tag fühlt sich irgendwie einfach weniger stressig an.

Als ich nach den oben erwähnten Artikeln im Blog gesucht habe, bin ich auch auf einen Artikel von mir gestoßen, den ich fast auf den Tag genau vor neun Jahren hier veröffentlicht und an den ich mich nicht mehr erinnert habe. Aber was die Morgendämmerung betrifft, habe ich jetzt, fast ein Jahrzehnt später dieselben Gefühle. Auch wenn ich den Sonnenuntergang nicht missen möchte: Ich habe dabei immer den Eindruck, dass etwas vergeht, dass ein weiterer Tag vorübergegangen ist, der sich so, in dieser Form niemals wiederholen wird. Die Morgendämmerung dagegen hat etwas von Aufbruchsstimmung, sie bietet neue Chancen und zeigt neue Perspektiven auf. Genau die gleichen Gefühle habe ich jetzt, wenn ich früh morgens auf unserem Balkon stehe. Zudem bin ich, wie gesagt, vom Gefühl her viel produktiver und auch ruhiger.

Ich gebe gut und gerne zu, dass das frühe, vor allem das extrem frühe Aufstehen nicht für jeden etwas ist. Ich möchte hier niemanden dazu überreden, seinen Biorhythmus auf Biegen und Brechen zu ändern. Es mag etwas dran sein, dass auch in diesem Fall, wie so oft, die Gene ein gehöriges Wort mitzureden haben, was unser Körper überhaupt hergibt. Mit Sicherheit sind einige wirklich nicht in der Lage, vor einer bestimmten Uhrzeit produktiv zu sein, dafür blühen sie in den Abendstunden und in der Nacht auf. Und es gibt sicherlich eine andere Gruppe, mit dem vielleicht größten Anteil, die sich mit ein bisschen Willenskraft dazu durchringen kann, regelmäßig etwas früher aufzustehen, als sie sonst aufstehen würde, weil es die Arbeit ganz einfach verlangt.
Hätte mir vor einigen Jahren jemand gesagt, dass ich schon bald um fünf vor fünf aufstehen (und um neun Uhr schlafen gehen) werde, und das ohne gravierende Probleme, hätte ich ihn mit Sicherheit für verrückt gehalten. Auch wenn ich schon als Schüler und Student abends und in der Nacht nie wirklich lernen konnte, das ging einfach nicht. Wahrscheinlich bedurfte es dieser jetzigen Konstellation, damit ich die Morgenstunden in diesen Wochen so genießen und die Tage derart gut nutzen kann. Mal sehen, wie es im Herbst und Winter weitergeht, aber bis dahin wird sich mein Körper hoffentlich an meinen neuen Biorhythmus gewöhnt haben.

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