Knapp einhundert Jahre ist es her, dass einer der Klassiker der deutschen und der Weltliteratur aus der Feder von Erich Maria Remarque erschien: Im Westen nichts Neues. Irgendwie ist dieses Buch bisher an mir vorbeigegangen, obwohl ich hin und wieder lobende Worte darüber gelesen habe und es mit seinen gerade mal zweihundert Seiten nicht zu den schwer lesbaren Wälzern des literarischen Kanons gehört. Und auch, obwohl der Titel per se zu einem geflügelten Wort avanciert ist und es sicherlich nicht schadet, wenn man den Hintergrund dazu kennenlernt.
Nun habe ich mich endlich für die Lektüre entschieden, kann mich jedoch nur schwer mit dem Werk anfreunden. Ich erkenne seinen Wert, seine Bedeutung und die so wichtige Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg – noch dazu aus Sicht der gemeinen Soldaten – ohne Wenn und Aber an. Aus dieser Sicht verneige ich mich tatsächlich vor einem überaus wichtigen und großen Roman, der – auch nach knapp einhundert Jahren – in unseren Tagen so aktuell ist wie eh und je.
Der Grund, weshalb mir das Buch nicht in guter Erinnerung bleiben wird, ist absurder Weise derselbe, weshalb es mir inhaltlich und literarisch gefallen hat und meine Anerkennung verdient. Die überaus reale, naturalistische, ja teilweise brutale Beschreibung des Alltags und des Soldatenlebens an der Front des Ersten Weltkriegs war für mich zu viel. Selbstverständlich muss man meine Meinung und Feststellung aus der Sicht des im 21. Jahrhundert, in der Mitte Europas lebenden, Komfort auf höchster Stufe genießenden Menschen lesen und bewerten, darüber bin ich mir durchaus im Klaren. Zudem sind sicherlich auch die tagtäglich auf uns einprasselnden, beunruhigenden Nachrichten derzeit nicht gerade zuträglich für eine positive Bewertung des Werks: Der seit Jahren in unserer unmittelbaren Nachbarschaft tobende Krieg, die nach und nach scheiternden Waffenstillstände und Friedensbemühungen und die in zahlreichen Ländern Europas wieder eingeführte oder zumindest mittel- und langfristig geplante Wehrpflicht.
Aus meiner obigen, zur Zeit noch bequemen Perspektive betrachtet, war die an vielen Stellen rohe Beschreibung der Angst, des Schreckens und des Leids des Krieges also einfach viel zu bedrückend, traurig und brutal – und doch ist sie meines Erachtens so wichtig. Besser gesagt: Es wäre wichtig, dass auch in unserer Zeit möglichst viele diese Beschreibung lesen, die heute mit einem Federstrich über Leben und Tod von Menschen und unsere Zukunft entscheiden. In diesem Sinn hat also Remarque sein vermeintliches Ziel perfekt erreicht: Er hat ein weltberühmt gewordenes, beunruhigendes Abbild der Realität des Krieges geschaffen, das uns allen die Brutalität des Menschen mit ihren viel zu wenig thematisierten Konsequenzen vor Augen führt. Also aus dieser Perspektive betrachtet, noch einmal: Hut ab!